Corona ist eine riesige Herausforderung – so viel ist klar. Aber die Krise bringt auch neue, wichtige Erkenntnisse mit sich. Bei mir hat sich in den letzten Monaten vor allem mein Blick auf das Thema Gleichberechtigung und das Tragen von Verantwortung in der Familie verändert.
20 Jahre lang war ich fest der Meinung, dass ich Gleichberechtigung bereits sehr erfolgreich lebe – wenn ich mich nicht sogar in einer Vorreiterrolle sah. Aber wie so oft im Leben, wurde ich eines Besseren belehrt und durfte in den letzten Wochen auch mal den Blickwinkel meiner Frau erleben. Denn mit ihrer systemrelevanten Tätigkeit als Erzieherin, war sie zum ersten Mal beruflich wichtiger als ich. Also hieß es plötzlich für mich: meine Arbeit als Geschäftsführer im Home-Office mit der Betreuung unserer vier Kinder unter einen Hut zu bringen. Kein Problem, dachte ich anfangs – ich bin ja sowieso zu Hause und die Kinder schon nahezu selbstständig. Nach mehr als 10 Wochen kann ich sagen – ich bin ausgepowert und gleichzeitig beeindruckt: von der Leistung, aber vor allem von der Verantwortung, die meine Frau in den letzten 18 Jahren so selbstverständlich getragen und gemeistert hat.
Noch vor einigen Monaten war ich fest der Überzeugung, dass ich unserem Familienleben und meiner Frau ausreichend Unterstützung bereitstelle und wir somit Gleichberechtigung leben. Schließlich hatte die Vereinbarkeit von Job und Familie sowie die Berücksichtigung persönlicher Ziele und Werte bei mir immer höchste Priorität bei der Jobwahl. Deshalb nahm ich selbstverständlich familiäre Termine wahr, wann immer meine Frau keine Zeit hatte. Ich half im Haushalt, wann immer ich zu Hause war. Und die Kinder konnten selbstverständlich jederzeit anrufen, wann immer kein Kunde in der Leitung war. Ja, genau: eben nur, wann immer es ging. Ich hatte stets die Freiheit berufliche Anforderungen über die der Familie zu stellen. Meine Frau hingegen, hatte die Pflicht familiäre über berufliche Verpflichtungen zu stellen.
Aber das hat sich nun geändert. Corona hat es verändert. Seit Mitte März trage ich die Verantwortung: für Homeschooling, Abiturvorbereitung, Haushalt, Kochen, Einkaufen, Arzttermine sowie für die Betreuung kleinerer und größerer Kindersorgen. Für mich bedeutet es zum ersten Mal, dass ich nicht mehr die Freiheit habe zu priorisieren. Statt „ich muss zum Geschäftsessen“ heißt es jetzt „Großeinkauf und Kochen für die Familienkantine“. Denn spätestens nach dem Kommentar meiner Tochter: „Papa, jetzt wissen wir auch, wie es nach dem Krieg war, als die Menschen nichts zu essen hatten“, weiß ich, wo meine Prioritäten liegen. Was sich in den ersten Wochen noch wie ein spannendes Experiment angefühlt hat, ist inzwischen als harte Realität bei mir angekommen. Ich spüre deutlich ein Gefühl der Zerrissenheit. Einerseits die Begeisterung für die beruflichen Themen, denen ich mit voller Leidenschaft nachgehe und andererseits die Pflichten, die ich meiner Familie gegenüber wahrnehmen muss und möchte. Das Ergebnis ist das Gefühl niemandem gerecht zu werden und mich selbst dabei zu verlieren.
Aber ich bin dankbar für diese Erfahrung und möchte sie deshalb mit allen teilen, die sich hier wiederfinden können. Vor allem möchte ich aber Veränderung anstoßen. Deshalb bin ich mir sicher, dass ihr in den Büros unserer Kunden neben dem „Vater-Kind-Raum“ schon bald das „Klassenzimmer mit Homeschooling Betreuung“ finden werdet. Und dass wir auch männliche Führungskräfte zukünftig häufiger im Home-Office antreffen werden, vielleicht in Teilzeit, weil die Familie Priorität hat. Natürlich ohne schlechtes Gewissen – als gutes Beispiel für alle Mitarbeiter.
Mich wird das Thema mit Sicherheit noch länger und intensiver beschäftigen. Deshalb freue ich mich auf eure persönlichen Erfahrungen, Meinungen und Gedanken dazu!
Euer Axel
Schreiben Sie uns also gerne Ihre ganz persönlichen Gedanken zu diesem Thema an info@workingwell.com
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